Unser Tag beginnt um 7.45 Uhr mit einem Frühstück auf unserem Balkon hoch über dem Tjäktjavagge. Der Ausblick ist traumhaft, wir genießen die wärmenden Sonnenstrahlen nach einer Nacht knapp über 0°C. Wir sind beide happy und überdreht! [Wer sich jetzt wundert, muss noch den
vorigen Tag nachlesen 😉 ].
Ausserdem sind wir voll motiviert – der höchste Berg Schwedens ist unser Ziel! Wir beschließen, heute richtig aufs Tempo zu drücken, wir haben keine Wetterprognose, die über heute hinausgeht und befürchten, dass die Schönwetterphase zu Ende gehen könnte, bevor wir den Gipfel des Kebnekaise erreichen. Der Gipfel ist berüchtigt dafür, sich in den Wolken zu verstecken. Außerdem befinden wir uns auf der falschen Seite, die Hauptaufstiegsrouten kommen für uns nicht in Frage – das war ursprünglich auch der Grund, warum wir den Berg auslassen wollten – es gibt aber eine wenig begangene Nebenroute, die zwischen Sälka und Singi vom Kungsleden abzweigt. Zu der haben wir jetzt natürlich auch keine Informationen mit, immerhin ist sie in der Wanderkarte BD6 eingezeichnet. Das Kartenstudium zeigt, dass es von unserem Zeltplatz zur Abzweigung ungefähr 17km sein müssten, von unseren aktuellen 1.050m Höhe verlieren wir fast 300m, um dann von 760m auf 2.100m aufzusteigen. Wir beschließen gemeinsam, zu der ursprünglich für heute geplanten Route noch ein paar Kilometer und vor allem Höhenmeter draufzulegen und ein Basislager über 1.000m für den Gipfeltag aufzubauen. Also dann, auf gehts! Zelt abbauen, Rucksäcke packen und vor 10 Uhr brechen wir dann auf.
Blick ins Tjäktjavagge, © Markus Proske — Canon EOS 5D Mark II, EF70-300mm f/4-5.6L IS USM, 70mm, 1/100s, Blende 8, ISO 200
Das breite Tal Tjäktjavagge liegt tief unter uns. Wir werden dieses Tal auf seiner ganzen Länge durchwandern, drei der Kungsleden-Hütten liegen in diesem Tal: Sälka, Singi und Kaitumjaure. Das Tjäktjavagge liegt meist um die 700-800m Höhe, das bedeutet, das wir uns die ganze Zeit oberhalb der Baumgrenze befinden. Erst knapp vor Kaitumjaure werden wir auf einen Birkenwald treffen. Von unserem Standort sieht man nur einen Teil des Tals. Seht ihr, wo das Tal einen Knick nach rechts macht? „Vor“ dem rundlichen Berg (Stuor-Jiertá, 1543m), der den Blick versperrt? Kurz nach dem Knick werden wir nach links abzweigen. Ich hätte das besser mit 35mm fotografiert – das entspricht dem menschlichen Sehen – mit 70mm wirkt es näher als es ist, der Stuor-Jiertá befindet sich ungefähr 10km hinter dem Knick des Tals, einige Kilometer nach Singi.
Der nun folgende Abstieg ist steil. Das westlich gelegene Tal Geargevággi stellt eine Verbindung nach Norwegen dar und bietet eine Möglichkeit, die Hukejaure-Hütten und den Weitwanderweg Nordkalottleden
[Wikipedia] direkt zu erreichen (eine weitere Verbindung gibt es vor der Sälka Gruppe und dann natürlich den Hauptweg zwischen Sälka und Singi).
Landschaftlich ist das Tjäktjavagge ein Traum. Es ist ein grünes und blühendes Tal und der Fluss Tjäktjajåkka ist meist in Sichtweite. Die Berge im Westen sind eher rund mit steilen Abbrüchen zum Tal hin, die Berge im Osten weit weniger steil, dafür aber mit markanten Gipfeln.
Einer von unzähligen kleinen Wasserfällen, die in den Tjäktajåkka münden, © Markus Proske — Canon EOS 5D Mark II, EF70-300mm f/4-5.6L IS USM, 214mm, 1/200s, Blende 5.6, ISO 200 Einer von unzähligen kleinen Wasserfällen, die in den Tjäktajåkka münden, © Markus Proske — Canon EOS 5D Mark II, EF70-300mm f/4-5.6L IS USM, 300mm, 1/200s, Blende 6.3, ISO 200 Tjäktjajåkka vor einerm Gipfel der Sälka-Gruppe, © Markus Proske — Canon EOS 5D Mark II, EF16-35mm f/4L IS USM, 35mm, 1/100s, Blende 11, ISO 200
Wir erreichen die Sälka-Hütten um ungefähr 14 Uhr. Für einen Kungsleden-Hüttenwanderer wäre der Tag nun zu Ende, die Hütten stehen hier recht nahe beinander: von Tjäktja nach Sälka sind es 12km (wovon wir aber gestern schon 4 bis zu unserem Zeltplatz gegangen sind, also heute nur mehr 8km für uns), von Sälka nach Singi sind es weitere 12km. Zeit für eine ausgiebige Pause, wir nutzen den kleinen Shop, kaufen Cola und Kex und stocken unseren Proviant um zwei gefriergetrocknete Mahlzeiten auf. Dann sitzen wir mit ausgezogenen Schuhen und Socken in der Sonne und gönnen unseren Füßen eine Auszeit – und neben uns döst der riesige Hüttenhütehund. Nach etwas mehr als einer Stunde brechen wir wieder auf und folgen dem Kungsleden nach Süden in Richtung Singi. Der Weg ist unschwierig, wir schlagen ein höheres Tempo an und kommen gut voran. Das rechte Bild unten zeigt einen Blick zurück in Richtung Tjäktjapass – ganz schön weit weg!
Direkt vor uns, nur leicht in der Richtung versetzt, ziehen dicke schwarze Wolken auf und kurz darauf folgen Blitz und Donner. Das Wetter zieht schnell und direkt auf uns zu. Unsere Lage ist etwas exponiert, wir sind gerade auf einer Erhöhung und nicht weit vor uns – man glaubt es kaum – befindet sich eine der wenigen Hängebrücken. Eine Stahlbrücke, na toll. Blitz und Donner liegen bei drei Sekunden Abstand als wir die Brücke über den Guobirjohka erreichen, unmittelbar nach einem Blitz düsen wir im Laufschritt über die schwankende Hängebrücke. Ein Gutes hat die Brücke, in unmittelbarer Nähe befindet sich eine Winter-Nothütte. Als wir dort waschelnass ankommen, ist die kleine Hütte bereits voll, der Ofen glüht und alle trocknen ihre Sachen 🙂
Alle rücken zusammen und wir haben auch noch Platz auf einem Bankerl. Wir treffen eine Amerikanerin und eine Deutsche, die sich vom Schüleraustausch kennen, vier junge Franzosen und einen Niederländer, der allein unterwegs ist. Schnell drehen sich die Gespräche um die bisherigen Erlebnisse und die künftigen Planungen. Die Franzosen sind etwas bedrückt, weil Frankreich am Wochenende das EM-Finale gegen Portugal verloren hat. Das Gewitter lässt bald nach und nachdem die schweren Trekkinghosen halbwegs getrocknet sind (der Regen ist so schnell gekomen, dass wir die Regenhosen nicht mehr anziehen konnten – nach dem Motto „die Wolken gehen eh in die andere Richtung …), brechen wir alle wieder auf. Von hier sind es nur mehr bisschen über zwei Kilometer bis wir den Kungsleden verlassen werden. Im Regen, nicht weit vor der Brücke, haben wir bereits einen Blick auf den Kebnekaise erhascht!
Mitten im Gewitter, bei strömendem Regen, taucht in der Ferne die Gipfelpyramide des Kebnekaise auf – dort oben wollen wir morgen stehen!, © Markus Proske — Canon EOS 5D Mark II, EF70-300mm f/4-5.6L IS USM, 300mm, 1/500s, Blende 5.6, ISO 200
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